Immer wieder bekomme ich die Frage gestellt, was der wichtigste Grund für den Erfolg von Startup-Unternehmen ist. Gleich vorab: diese Frage ist sehr facettenreich. Meine eigenen Erfahrungen und ebenso statistische Auswertung, wie jene von CB Insights, zeigen, dass Team, Liquidität & vor allem fehlende Marktnachfrage die wesentlichen Treiber sind. Es gibt aber einen weiteren Faktor, den wir immer wieder leicht vergessen: die Fähigkeit zu pivotieren.
Was Pivotieren eigentlich bedeutet
Der Pivot ist eine strategische Neuausrichtung des gesamten Unternehmens und beinhaltet meistens eine radikale Änderung des Geschäftsmodells (Siehe Einstein1, Netzwerk – Digitales Gründerzentrum). Das bedeutet, die Umorientierung von einem ursprünglichen Produkt A zu einem neuen Produkt B. In der Praxis kann der Pivot das gesamte Produkt verändern, ebenso nur einen Teil davon, d.h. Gründer:innen fokussieren sich ab Wendepunkt XY ausschließlich auf ein bestimmtes Feature, das Geschäftsmodell oder auch die Zielgruppe, die adressiert werden soll. In der Regel wird es eine Kombination dieser Punkte sein, aber das Endergebnis ist immer gleich: die strategische Neuausrichtung. Der Begriff stammt im Übrigen vom bekannten Lean Startup Modell von Eric Ries.
Warum pivotieren wir
Wir haben es in der Einleitung gelesen: fehlende Marktnachfrage ist der Nummer eins Grund, warum Startups scheitern. Starke Konkurrenz, unzureichende Marktrecherche und verändernde Kundenbedürfnisse können zu einer sinkenden oder gar fehlenden Marktnachfrage führen. Kein Startup wird lange am Markt überleben können, wenn es nicht genug Kunden gibt die ihre Produkte kaufen oder ihren Service in Anspruch nehmen. Selbst eine hohe Finanzierung ist nur eine temporäre Lösung. – der Zahltag rückt unwiderruflich näher und fordert es schließlich ein.
Was also, wenn euer Produkt keine Nachfrage erzielt? Zuallererst ist es ein Zeichen dafür, dass eure Marktrecherche, darunter hoffentlich qualitative Interviews, quantitative Umfragen, Konkurrenzanalysen etc., nicht effektiv waren. Das kann immer wieder auftreten, doch entscheidender ist, schnell darauf zu reagieren und einen Pivot durchzuführen. Das gelingt euch, indem ihr viel testet (A/B testing, multivariate testing) und täglich Marktdaten sammelt. Im Falle einer App zum Beispiel, welche Features, wie häufig genutzt werden und wächst die aktive Useranzahl monatlich (auch MAU genannt) oder stagniert sie. Ihr könnt ebenso messen, wie viele Personen über eure Werbeanzeige eure Webseite besuchen oder über den Google Keyword Planner das monatliche Suchvolumen von Suchbegriffen in Land X evaluieren, um so die tatsächliche Nachfrage besser einzuschätzen.
Furcht von Pivotieren ist Furcht vom Scheitern
Ob PayPal, YouTube, Flickr oder Spotify (Letztere mit dem Start von massenhaft Podcasts während der Covid19-Krise) – sie haben alle pivotiert. Ich habe Startups erlebt, die innerhalb eines Jahres Produkt- und Geschäftsmodell gleich zweimal grundlegend verändert haben. Beim dritten Versuch ist der Erfolg tatsächlich dann auch eingetreten . Warum ist also “pivotieren” so wichtig für den Unternehmenserfolg? — Weil es mehr Raum für Innovation zulässt, sogar öffnet. Jene Teams, die es schaffen in Zeiten von abrupten Marktveränderungen, besonders schnell und flexibel eine strategische Neuausrichtung vorzunehmen, sind dauerhaft erfolgreicher.
Furcht von Pivotieren ist nichts anderes als die Furcht vom Scheitern. Verhindert man das und schaut weg, verhindert man Innovation und rückt dem Scheitern unweigerlich näher. Pivotieren sollte in der Kultur, in der DNA, eines jeden guten Startups enthalten sein. Ich korrigiere: es MUSS.
Mehr zu Themen, wie diesen, findet ihr in der neuen Startup-Initiative der WKÖ auf www.startupnow.at.
Quellen
https://www.einstein1.net/startup-pivot/
https://www.entrepreneur.com/article/308975
https://hbr.org/2020/07/how-businesses-have-successfully-pivoted-during-the-pandemic
Verfasser:
Kambis Kohansal Vajargah ist Head of Startup-Services der Wirtschaftskammer Österreich. Er ist verantwortlich für die StartupNOW-Initiative und damit zentraler Ansprechpartner für Startups in ganz Österreich.
Als Entrepreneur, Company Builder und Startup Mentor unterstützt er außerdem Startups in der frühen Entwicklungsphase bei der marktreifen Umsetzung ihrer Ideen. Zu seinen erfolgreichen Unternehmungen zählen Startups, wie whatchado, Saturo und Freebiebox, die Softwareschmiede vendevio oder das Investoren-Netzwerk primeCROWD.
Der Schwerpunkt seiner Tätigkeiten liegt in den Bereichen digitales Marketing, strategische Unternehmensentwicklung und Leadership Management. Vom World Economic Forum zum europäischen Digital Leader ernannt, treibt er als aktive Kraft die Digitalisierung Europas voran. Sein Motto: Believe. Execute. Learn