In diesem Blogbeitrag möchte ich dir die Möglichkeit geben, dich in die Gedankenwelt eines Business Angels hineinzuversetzen, um einige Missverständnisse zwischen Startups und Investor*innen auszuräumen, die ich in den letzten 20 Jahren immer wieder gesehen habe. Ich habe da sowohl Erfahrung aus der Startup-Sicht als auch aus der Sicht eines Investors bzw. Business Angels.
Es gibt viele Arten wie man in Startups investiert. Ich werde mich hier auf die sogenannten Business Angels konzentrieren, also Privatpersonen, die in einer frühen Phase in dein Startup investieren. Erstens, weil ich die gut verstehe (mich selbst, aber ich kenne natürlich auch andere), und zweitens, weil das typischerweise der/die erste Investor*in ist, der/die in dein Startup investiert, und daher besonders viel von dieser Transaktion abhängt.
Wer sind also diese Leute?
Meistens handelt es sich selbst um Gründer*innen, die durch den Verkauf ihrer Firma zu Geld gekommen sind. Es gibt selbstverständlich auch andere Möglichkeiten, zu Geld zu kommen, doch wie wir noch sehen werden, qualifiziert einen das Geld allein nicht als Business Angel.
Damit du dich besser mit unserem Business Angel identifizieren kannst, stelle dir einfach dich selbst in fünf bis zehn Jahren vor. Damit es konkret wird, nehmen wir an, du und deine beiden Mitgründer*innen hättet eure Firma um 100 Millionen Euro verkauft. Nehmen wir weiter an, ihr drei hattet zum Zeitpunkt des Verkaufs noch 40% der Firma (der Rest gehörte dann Investoren) zu gleichen Teilen. Dann bleiben jedem nach Abzug der Steuer etwa 10 Millionen Euro. Es könnte auch mehr oder weniger sein, je nach Verkaufserlös und Anzahl der Gründer*innen, aber bleiben wir mal bei dieser runden Summe.
Du hast damit so viel Geld, dass du nicht mehr arbeiten musst, wenn du nicht willst. Das trifft sich gut, denn du hast in den letzten Jahren so viel Zeit mit deinem Startup verbracht (60 bis 80 Stunden die Woche) und dafür auf Vieles verzichtet, das du jetzt nachholen willst. Nach einem Jahr der Übergabe an Käufer*innen deiner Firma bist du frei (also arbeitslos).
Aber du bist noch jung (sagen wir 35), was ein bisschen früh für das Leben in einer Pension ist. Ein „normaler“ Job mit Chef*in und fixen Arbeitszeiten für die verbleibenden 30 Jahre bis zur Alterspension ist nicht wirklich attraktiv. Gleich wieder eine neue Firma gründen ist dir zu stressig, du willst das Leben genießen und deine Kinder aufwachsen sehen. In dieser Situation ist die Tätigkeit eines Business Angels eine gute Alternative, denn:
- Du besitzt das nötige „Kleingeld“
- Du bist es gewohnt, Risiken einzugehen (sonst wärst du kein/e Unternehmer*in), und einen Teil deines Geldes in riskante Startups zu investieren, schreckt dich nicht
- Du hast Startup-relevantes Know-How, Kontakte und Erfahrungen, die du gerne weitergeben möchtest
- Du hast die Zeit und die Flexibilität, dich um deine Startups aktiv auf einer strategischen Ebene zu kümmern (aber nicht so viel Zeit, dass du operativ tätig sein möchtest)
Man kann sich also gut vorstellen, dass es in dieser Situation attraktiv ist, als Business Angel aufzutreten. Damit wirklich auch finanziell erfolgreich zu sein, ist jedoch sehr schwierig und erfordert eine gewisse Professionalität. Für viele ist das aber gar nicht so wichtig, das Investieren soll Spaß machen. Man möchte wieder ein bisschen Unternehmer*in sein, aber bitte ohne die Nachteile (Zeitaufwand, Verantwortung, Stress).
Das Geschäftsmodell eines Business Angels
Kommen wir wieder zu deinen 10 Millionen Euro zurück. Es wäre klarerweise ein Fehler, die ganze Summe in hochriskante Startups zu investieren, und damit alles auf Spiel zu setzen, wofür du so hart gearbeitet hat. Sagen wir also, du reservierst 10 Prozent — also eine Million Euro — für die Startups, und legst den Rest irgendwie anders (weniger riskant) an.
Mit der einen Million willst du auch nicht alles auf ein Pferd setzen, sondern du wirst versuchen, dein Risiko zu streuen. Sagen wir wieder, du investierst je 100.000 Euro in zehn verschiedene Startups, damit wir über runde Summen reden.
Dann könnte das erwartete Resultat fünf Jahre nach deinen Investments etwa so aussehen:
- Von den zehn Startups waren fünf nicht erfolgreich, d.h. dein Investment ist ein Totalverlust
- Vier weitere haben immerhin deinen Einsatz (100k Euro) irgendwie zurückgespielt
- Eines wurde zum zehnfachen Einsatz verkauft, d.h. du hast für deine 100k Einsatz eine Million bekommen
Insgesamt hast du damit also 1,4 Millionen Euro für deinen Einsatz von 1 Million bekommen, wobei die Rendite praktisch nur von dem einen Investment abhängt, das (hoffentlich!) funktioniert. Also eine Rendite von 40% in 5 Jahren. Das ist in Relation zum hohen Risiko nicht sehr berauschend, etwa 7% pro Jahr. Außerdem muss man den Gewinn versteuern, und es ist zumindest für Privatpersonen nicht so selbstverständlich, dass man die Verluste (die ja möglicherweise in anderen Jahren davor oder danach entstanden sind) gegenrechnen kann. Wie gesagt, es ist nicht leicht, als Business Angel finanziell erfolgreich zu sein.
Was bedeutet das für deine Anforderungen an die Startups, in die du investiert?
Erstens weißt du vorab nicht, welches deiner zehn Investments jenes sein wird, dessen Wert sich verzehnfacht (wenn du das wüsstest, würdest du nicht in die anderen investieren). Daher muss es eine Anforderung an alle potenziellen Investments sein, dass diese Verzehnfachung (eher mehr) in relativ kurzer Zeit möglich sein muss. Das wiederum geht nur mit hoch skalierbaren Geschäftsmodellen. Viele an sich gute Geschäftsideen „normaler“ Unternehmen (z.B. nicht digital, Dienstleistungen) scheiden da von vornherein aus.
Zweitens muss die Bewertung beim Einstieg im Verhältnis zum erwarteten Firmenwert beim Exit möglichst klein sein. Wenn du beispielsweise für deine 100k Investment 10 Prozent der Firma bekommst (also eine Post-Money-Bewertung von 1 Million), muss die Firma beim Exit mindestens 10 Millionen wert sein, damit dein Investment eine Million wert ist. Dazu sollte die Firma mindestens 2 Millionen Umsatz machen und profitabel sein. Hättest du 20% für deine 100k bekommen, würde die Hälfte reichen.
Das alles gilt aber nur, wenn zwischen deinem Investment als Business Angel und dem Exit keine weiteren Investment-Runden stattfinden. Es ist aber unwahrscheinlich, dass das Unternehmen nur mit deinen 100k einen Firmenwert von 10 Millionen generieren kann (das wäre ja eine Verhundertfachung des eingesetzten Kapitals). Realistischerweise wird es weitere Finanzierungsrunden mit größeren Investor*innen geben, was deine Anteile gemeinsam mit den Gründer*innen verwässert. So werden aus deinen 10% bis zum Exit vielleicht 5% (oder weniger), wodurch die Bewertung beim Exit dann schon 20 Millionen (oder mehr) sein muss, damit du deine angestrebte Verzehnfachung bekommst. Der Firmenumsatz nach 5 Jahren sollte dazu mindestens 4 Millionen sein, und die Firma profitabel. Leider denken meiner Erfahrung nach die meisten Gründer*innen zu klein. Um es ganz klar zu sagen: Businesspläne, die nach ein paar Jahren nur ein paar hunderttausend Euro Umsatz zeigen, sind für Investor*innen uninteressant!
Drittens sind nicht nur Bewertung und Exit-Multiple, sondern auch der Faktor Zeit ganz entscheidend für deine Rendite. Im vorhin erwähnten Beispiel ergab sich eine Rendite von 40% in 5 Jahren, was etwa 7% pro Jahr entspricht. Wenn der Exit schon in 3 Jahren erfolgt und sonst alles gleichbleibt, ist die Rendite etwa 12%. Wenn es aber 10 Jahre bis zum alles entscheidenden Exit dauert, nur magere 3,4% pro Jahr. Nach Abzug von Steuern und Inflation bleibt da kein Gewinn übrig, vielleicht sogar ein Verlust.
Daraus ergibt sich, dass du als Investor*in extrem daran interessiert bist, dass deine Startups möglichst schnell wachsen und du sie ständig drängen musst, Gas zu geben. Alle Aktivitäten, die nicht das Wachstum beschleunigen, halten nur auf und kosten dich Rendite, also Geld.
Idee vs. Markt vs. Team
In den meisten Pitches von Startups wird die Produkt-Idee in den Mittelpunkt gestellt. Möglichst neu und einzigartig soll sie sein, schwer nachzumachen (im Idealfall patentiert) und hoch skalierbar. Man fragt sich, warum noch niemand anders dieselbe Idee gehabt und erfolgreich umgesetzt hat.
Tatsächlich ist die Idee weniger wichtig, als die Gründer*innen glauben. Wichtiger ist der Markt (also Größe, Wachstum, Konkurrenzsituation), am wichtigsten aber das Team. Warum? Weil ein erstklassiges Team in einem interessanten Markt eine nicht-ganz-so-großartige Idee schnell immer wieder adaptieren kann, bis sie zum Markt passt. Ein schlechtes Team hingegen wird auch eine erstklassige Idee nicht gut auf die Straße bringen können, bzw. wird irgendwo anders auf der Welt ein besseres Team dieselbe Idee besser umsetzen.
Es geht vielmehr um sie sogenannte „Ability to Execute“, also die Frage, ob das Team in der Lage ist, die Idee auch umzusetzen. Im Idealfall hat das Gründerteam schon vorher einmal erfolgreich ein Startup hochgezogen und verkauft. In der österreichischen Realität kommt das aber kaum vor. Potenzielle Investor*innen werden sich also stattdessen fragen müssen, ob das Gründerteam theoretisch in der Lage ist, das angepeilte Ziel zu erreichen. Dazu muss es hinreichend divers sein, dass es alle notwendigen Fähigkeiten abdeckt (Produktentwicklung, Vertrieb und Marketing, Finanzen und Administration). Schwierig einzuschätzen ist, wie gut die Gründer*innen fachlich sind, wie gut sie zusammenarbeiten können, und vor allem, wie belastbar sie sind. Da müssen sich Investor*innen über weite Strecken auf ihr Bauchgefühl verlassen.
Negativ wäre zum Beispiel nur ein/e Gründer*in oder mehrere mit denselben Skills. In den Gesprächen mit dem Gründerteam werden potenzielle Investor*innen herauszufinden versuchen, ob sie Kritik positiv annehmen können oder eher beratungsresistent sind (letzteres wäre negativ). Der Stress, der auf die Gründer*innen zukommen wird, wird allfällige psychische Probleme oder familiäre Schwierigkeiten offenlegen, so etwas wäre also auch negativ (aber so gut wie unmöglich im Vorfeld herauszufinden).
Ein absolutes No-Go sind „Teilzeitgründer*innen“, also solche, die nebenbei noch in anderen Jobs oder eigenen Firmen involviert sind. So nach dem Motto: Probieren wir das mit der Startup-Idee einfach mal aus (das Risiko übernehmen andere), wenn es nicht klappt, habe ich ja noch meinen anderen Job. Es ist aus Investor*innensicht ganz wichtig, dass nicht nur Investor*innen etwas riskieren, wenn es schiefläuft, sondern auch die Gründer*innen „Skin in the Game“ haben.
Was können umgekehrt Startups von Business Angels erwarten?
Neben dem Offensichtlichen (Geld) können Gründer*innen von Business Angels erwarten, dass sie sich mit einer Art Coaching der Gründer*innen, Beratung, und ihrem Netzwerk einbringen. Natürlich wird das jeder Business Angel von sich behaupten. Realistischerweise sollte sich das Startup da aber auch nicht zu viel erwarten. Investor*innen haben natürlich Erfahrungen in ihren Märkten, aber die sind selten 1:1 auf das Startup zu übertragen. Mit dem Netzwerk ist das auch so eine Sache: Natürlich haben Investor*innen über die Jahrzehnte ein wertvolles Netzwerk von Personen aufgebaut, denen sie vertrauen und im Gegenzug ihnen vertrauen. Aber gerade deswegen wird er dieses Vertrauen nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, z.B. indem sie die Dienste eines Startups empfehlen, dass dann nicht oder schlecht liefert. Es dauert lange, Vertrauen aufzubauen, aber verspielt ist es schnell. Die Tatsache, dass Investor*innen ein großes Netzwerk haben, heißt daher noch lange nicht, dass sie es euch öffnen.
Warnen würde ich vor Business Angels, die eine Mitarbeit im Startup anbieten, vielleicht gar im Gegenzug für Anteile (sogenanntes „sweat equity“). Erstens lässt sich der Wert dieser Arbeit oft nur schwer quantifizieren (und der/der Investor*in wird ihre Arbeitszeit höher bewerten als die der Gründer*innen). Und zweitens kann es dann passieren, dass unser Business Angel sich als Unternehmer*in fühlt und alles (mit)entscheiden möchte, und die eigentlichen Gründer*innen aufpassen müssen, dass sie nicht zu Angestellten in ihrem eigenen Unternehmen degradiert werden.
Im Endeffekt ist auch bei der Entscheidung für einen Business Angel von den Gründer*innen Bauchgefühl gefragt. Die Chemie zwischen Business Angel und Gründer*innen muss einfach passen.
Und am Schluss noch der Geheimtipp
Am Ende ist neben allen Zahlen und Fakten doch die Emotion, die entscheidet. Alle Investor*innen (egal ob in Startups oder z.B. an der Börse) sind zwischen zwei Gefühlen hin- und hergerissen: Gier und Angst. Einerseits möchte man mit seinen Investments Geld gewinnen (Gier), andererseits aber nicht verlieren (Angst).
Die Psychologie sagt uns aber, dass die Verlustangst stärker wiegt als die Lust am Gewinnen. Wenn sich ein/e Investor*in daher unsicher ist, wird es das Investment eher nicht machen. Die Aufgabe für das Startup lautet nun, aus der Gier ebenfalls eine Angst (konkret FOMO: Fear of Missing Out) zu machen. Die Argumentation geht etwa so: Wenn du, liebe/r Investor*in investierst und es läuft nicht wie geplant, hast du deinen Einsatz (sagen wir 100k) verloren. Das kannst du verkraften, und niemand wird dich dafür für einen Idioten halten. Wenn du aber nicht investierst und unser Plan funktioniert, bist du für alle der Idiot, der darauf verzichtet hat, in das nächste Unicorn zu investieren, und du „verlierst“ damit 100 Millionen. Damit musst du dann leben. Such dir also eine Angst aus!
Verfasser:
Frank Kappe; Computer Science Professor an der TU Graz & Partner bei Kapa Ventures